09) Das Plettenberger Stadttheater

Die Tafel 9 erzählt vom ehemaligen Stadttheater, das früher durch Theater- und Operettenaufführungen bzw. später durch Kinovorstellungen einen kulturellen Brennpunkt der Stadt darstell­te. Heute {1998} bemüht sich eine Bürgerinitiative, den Abriss des Gebäudes zu verhindern. Aus diesem Anlass sind hier die Hinter­gründe dieser Stätte der Kultur noch einmal ausführlicher refe­riert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Kassen der Städte größtenteils fast leer. Es bestanden genug finanzielle Probleme, für die Unterbringung der Vertriebenen oder die Lebensmittelversorgung zu sorgen. Um so mehr war es einer kleineren Stadt wie Plettenberg anzurechnen, wenn selbst in dieser schwierigen Zeit noch Geld in ein Unternehmen wie ein Theater investiert wurde.
Nachdem die britische Besatzungsmacht 1945 erste Lizenzen für Theater in Nordrhein-Westfalen vergeben hatte, unterstützte die Stadt die Initiative von Helmut Urban, der auch der erste Intendant wurde. Warum genau allerdings ein Stadttheater überhaupt gegründet wurde, bleibt unklar. Offensichtlich hatten jedoch Kultur und Unterhaltung als Kontrastprogramm zu dem alltäglichen Dilemma der Nachkriegszeit einen enorm hohen Stellenwert. 

Mit dem Umbau des »Rüsing´schen Saales« und der Einrichtung einer Bühne wurden sowohl Helmut Urban, der davor am Stadttheater Königswinter tätig war, als auch Schauspieler von dort für das Plettenberger Theater verpflichtet. Die Eröffnung der ersten Spielzeit fand am 17. November 1946 mit einer Vorführung der Ope­rette »Gräfin Mariza« statt, bei der sogar der damalige nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister anwesend war. Damit stellte das Plettenberger Stadttheater die erste neu eingerichtete Institution dieser Art in der britischen Zone dar. In der Folgezeit erfreute sich das Haus Akzeptanz und großer Beliebtheit in der Bevölke­rung; die Vorstellungen waren in der Regel ausverkauft.


Aus alt mach neu:
Nach der Neugründung des Theaters 1947 wurde aus dem »i.W.« im Briefkopf ein »GmbH«; das Emblem blieb gleich



Allerdings wurde der Erfolg Mitte 1947 durch einen Skandal getrübt. Aus unbekannten Gründen verschwand Intendant Urban spurlos (nicht bewiesene Gerüchte machten Vergehen aus der NS-Zeit dafür verantwortlich). Jedenfalls hinterließ er dem Theater hohe Schulden von unbezahlten Noten, Kostümen und Ähnlichem. Sämtliche Versuche, seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen, schlugen fehl. 1981 stellte sich aller­dings heraus, dass Urban in diesem Jahr in einem Altersheim in der Schweiz gestorben war (er war bereits 1962 für tot erklärt worden).

Um das frisch errungene Prestige der Bühne nicht zu verlieren und weil so­wohl Stadtvertreter als auch Bürger theaterbegeistert waren, bewies die Stadt Durchhaltevermögen. Zusammen mit dem Volksbildungsverein und dem Verein der Theaterfreunde wurde das Stadttheater neu gegründet - diesmal als GmbH, damit im Falle einer neuerlichen Pleite nur das Vermögen als Tilgung für Schulden verwendet werden konnte. Als neuer Intendant wurde der ehemalige Oberspielleiter des Stadttheaters Oberhau­sen, Hans Reinhardt, gewonnen, der seine Arbeit am 31. Juli 1947 aufnahm.

Die neue Spielzeit 1947 wurde am 13. September mit der Operette »Das Land des Lächelns« eröffnet. Außer der Operettenbühne wurde auch eine Schauspielbühne eingerichtet, um eine größere Auswahl an Stücken aufführen zu können. Die Verträge aus der ersten Phase des Theaters waren fristgerecht gekündigt worden, was eine komplette Neubesetzung des Ensembles ermöglichte. Das Repertoire erweiterte sich um Märchenaufführungen für Kinder, Symphoniekonzerte und Ballettabende. Des weiteren wurden auch Gastspiele in den umliegenden Städten gege­ben, um mit möglichst vielen Vorstellungen die Rentabilität der Projekte zu garantieren.
Mit dieser Strategie hatte die Theaterleitung Erfolg, denn das Publikum erwies sich zum Teil als sehr begeisterungsfähig. Eine Dame aus Attendorn schrieb in einem Brief an den Intendanten Reinhard nach der Aufführung der Operette »Der Zarewitsch« im Annohaus in Attendorn (Rechtschreibung im Original):

[...} Das Spiel war meines Erachtens noch mehr wie gut. Der Te­nor mit seiner fabelhaften Stimme hat allen begeistert. Schau­spieler sowie das Ballett boten wirklich künstlerische Leistungen. Ich habe mich überall umgehört. Allen Zuschauern hat das Spiel überaus gut gefallen. [...}
Ich musste immer wieder staunen, wie es möglich war, auf den Brettern dort solch ein Stück zu geben. Von Augenzeugen wird mir auch berichtet, dass die Hälfte der Kulissen die zum Aufbau bestimmt waren, wegen Platzmangel im Wagen noch standen. Im Namen vieler anderer würden wir es begrüssen, wenn das Stadttheater Plettenberg uns weiterhin durch seine Darbietungen eini­ge frohe Stunden verschaffte. [...}«

In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte das Theater meist Operetten zur Unter­haltung der Leute aufgeführt. Mit voranschreitender Zeit konnten aber auch »ernsthaftere« Stücke wie z.B. »Kabale und Liebe«, »Minna von Barnhelm« und »Nathan der Weise« präsentiert werden, die das Programm bereicherten.
Nicht nur mit seinen Gastschauspielen in Lüdenscheid, Meinerzhagen, Attendorn und bei den Altenaer Burgfestspielen agierte das Stadttheater überregional, sondern auch Gastschauspieler wurden verpflichtet. So spielte der »bekannte Film- und Bühnenschauspieler« Paul Hartmann Hauptrollen.


Das Flair der großen, weiten Welt: Der Gastschauspieler Gartner bei einer Inszenierung des »Faust«

Um eine solche Vielfalt zu garantieren, lagen die Eintrittspreise in der weiten Spanne von 1 RM bis 5,50 RM. Diese Gelder mussten ausreichen, um neben den leider spärlichen Subventionen und Spen­den die Angestellten und die Ausrüstung zu bezahlen. So erhielt zum Beispiel der Hauptdarsteller eines Stückes 300 RM, die Hauptdarstellerin 275 RM. Musiker und Sänger erhielten auch noch vergleichsweise hohe Gagen: 250 bis 500 RM, Kapellmeister und Ballettmeisterin sogar 400 bis 500 RM. Dagegen war die Position der »Garderobenfrau« relativ schlecht bezahlt: nur 80 RM. Insgesamt summierten sich die Gehälter auf 23453 RM für ungefähr 100 Angestellte. In Spitzenzeiten zählte die Belegschaft des Theaters sogar bis zu 145 Leute.

Obwohl alles getan wurde, um auch das neue Theater zu einem Erfolg auszubau­en, mussten Rückschläge eingesteckt werden: Es wurden nicht so viele Abbonne­ments wie erhofft und erwartet gekauft, ein ausverkauftes Haus gab es nur selten. Die Einrichtung der Bühne und die Arbeitsmaterialien waren zum Teil unzulänglich oder nur provisorisch ausgebessert. Die Verlage, die die Orchesterpartituren und Bücher ausliehen, hatten schlechte Erfahrungen mit dem alten Stadttheater ge­macht und verhielten sich nun zurückhaltend. Die Geldmittel waren zum Teil so knapp, dass die Texte und Noten per Hand oder Schreibmaschine in Plettenberg vervielfältigt werden mussten.



Grundriss des Stadttheaters:
1 - Bühne
2 - Seitenbühne
3 - Orchestergraben
4 - Zuschauerraum

Den finanziellen Ruin des Theaters brachte allerdings erst die Wäh­rungsreform am 20. Juni 1948. Da Stammkapital und Guthaben ent­wertet wurden, konnten weder Personal noch Ausstattung bezahlt werden. Und da die Reform auch die Bürger traf, gaben diese ihr Geld lieber für nutzbringendere und handfestere Dinge als eine Eintritts­karte aus. Es wurde nur deshalb noch weitergespielt, da die Büh­nenleitung, insbesondere Intendant Reinhardt, so viele Leute nicht so plötzlich auf die Straße setzen woll­te. Alle Bemühungen um Zuschüsse und Zusammenschlüsse mit be­nachbarten Theatern schlugen fehl, so dass am 18. Februar 1949 die Aufführung des »Nathan der Weise« die letzte sein sollte; die Stadtthea­ter Plettenberg GmbH wurde auf­gelöst.

Rückblickend ist die Leistung, ein Theater in Plettenberg einzurichten, groß und bewundernswert. Kultur war damals eben kein Stiefkind der Verwaltung. Trotz recht karger finanzieller Ausstattung und trotz der Widrigkeiten der Nachkriegszeit wurde ein derartiges Unternehmen aufgezogen, was als beispielhaft gilt. Obwohl die Geschichte des »Plettenberger Stadttheaters« mit 1949 zu Ende ist, wurde das Haus auch im Anschluss noch genutzt. Mehrere kleinere Schauspielgruppen probten und spielten hier, und zuletzt hatte die Plettenberger »Kino-Familie« Greth hier ihren Vorführsaal, zu der Zeit »Central-Theater« genannt. Was die Zukunft bringt, ist ungewiss. Die Stadt hat den Abriss dieses historisch wertvollen Gebäudes für 1998 geplant, wogegen eine Bürgerinitiative zur Rettung des Hauses gegründet wurde. Diese plant, das Theater für kulturelle Veranstaltungen jeglicher Art zu nutzen, was gewiss eine Bereicherung für das Plettenberger Kulturleben wäre. Ob und wie allerdings eine Finanzierung auf die Beine gestellt werden kann, ist zur Zeit des Drucks dieser Broschüre noch ungewiss.

Fest steht jedoch, dass diesem Theater ein Platz in der Geschichte Plettenbergs sicher ist, denn, so der Intendant Hans Reinhardt in einem Brief vom 18.9.1948:

»Wir dürfen auf diese Leistung, die jeder Großstadt würdig wäre, stolz sein!«