Die Tafel 17 weist auf den Jüdischen Friedhof hin und erinnert daran, dass es in Plettenberg einmal eine jüdische Gemeinde gab.
»Wer im Gedächtnis seiner Lieben ruht, ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist, wer vergessen wird.«
Dieser Spruch erinnert an die 20000 jüdischen Mitbürger, Nachbarn und Freunde, welche einmal mitten unter uns hier in Westfalen lebten. Sie waren genauso heimatverbunden und vaterlandsliebend wie ihre christlichen Nachbarn auch. Gemeinsam hatten sie in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges gelegen, gemeinsam gekämpft. Man war sich nicht fremd. Viele Juden fühlten sich so integriert, dass sie begannen, ihre Wurzeln, ihre Identität zu vergessen.
Der Anfang vom Ende des jüdischen Lebens in Deutschland begann 1933 mit der nationalsozialistischen Machtergreifung. Durch die 1935 beschlossenen Rassengesetze wurde der Antisemitismus zur politischen Staatsdoktrin. Von nun an herrschte das Zweirassensystem, welches Arier von Nichtariern unterschied. Viele Juden in Westfalen gaben auf, was ihnen geblieben war, und wanderten aus. Kaum einer ging leichten Herzens. Zurück blieben die, die wenig besaßen, alt oder krank waren, aber auch die, die das Ungeheuerliche nicht wahrhaben wollten, weil sie noch an Recht und Gerechtigkeit glaubten.
Während des Pogroms der Nationalsozialisten in der Nacht des 9. Novembers 1938, die später euphemistisch »Reichskristallnacht« genannt wurde, wurden in Deutschland 91 Juden ermordet. In Plettenberg wurde jüdisches Eigentum zerstört, alle männlichen Juden nahm man in Haft. Brennende und verbrannte Synagogen wiesen auch hier in Westfalen den Weg in den Untergang. Nur vier von ungefähr hundert jüdischen Gotteshäusern blieben unversehrt. Dies alles fand unter den Augen einer schadenfrohen, erschreckten oder gleichgültigen Öffentlichkeit statt. Den absoluten Höhepunkt der Judenverfolgung stellte die Wannsee Konferenz dar, auf der 1941 die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen wurde. Diese Endlösung sah vor, das gesamte Judentum in Europa systematisch zu vernichten.
Im Herbst / Winter desselben Jahres begannen die ersten Deportationen in Westfalen in Bielefeld und Hamm, Münster und Dortmund. Von dort aus wurden die letzten 5000 Juden in den Tod geschickt, deren Spuren sich in den Ghettos und Konzentrationslagern verlieren. Kaum einer überlebte das Inferno der Vernichtung.
Als 1945 die Herrschaft der Nationalsozialisten zusammenbrach und der Neuanfang begann, wollte kaum jemand in Deutschland etwas von der Vergangenheit wissen. Die Mitläufer kehrten problemlos zur Normalität zurück, Täter beriefen sich auf den Befehlsnotstand und beteuerten ihre Unschuld. Jetzt wollte es keiner gewesen sein. Noch zu Beginn der 70er Jahre wurden Synagogen wegsaniert. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dennoch haben einige Juden den Weg in die alte Heimat zurückgefunden und haben neue Gemeinden gegründet. Somit werden auch heute wieder jüdische Gottesdienste in Westfalen gefeiert, in unserer Nähe zum Beispiel in Hagen.
»Sein Reich bestehe in eurem Leben« - Bestattung und Trauer
Angesichts der vielfältigen religiösen Strömungen ist es nahezu unmöglich, jüdische Bestattungs- und Trauerriten allgemeingültig zu beschreiben.
Im Talmud wird berichtet, dass Rabbi Akiba vor seinem Märtyrertod als letztes das »Sch'ma Israel« gebetet hat. So ist es seit Jahrhunderten das Bemühen der religiösen Juden, mit diesem Gebet auf den Lippen ihr Leben zu beenden. Bereits beim Besuch des Todkranken tritt die sogenannte Chewra Qadischa, die »Heilige Botschaft«, in Erscheinung. Dieser Beerdigungsbruderschaft anzugehören ist eine Ehre. Diese Gesellschaft kümmert sich um die Unterstützung Bedürftiger und Kranker sowie um die Einkleidung der Toten; sie sorgt auch für den Erhalt des Friedhofs.
Die Beisetzung soll möglichst bald nach dem Tod erfolgen. Bei der Trauerfeier im Trauerhaus, in der Friedhofshalle oder am Grab hält der Rabbiner eine Ansprache, in der er das Leben des Verstorbenen würdigt. Der Tote wird in einem schlichten Holzsarg bestattet. In Israel gibt es Gemeinden, in denen der Verstorbene ohne Sarg beerdigt wird, damit der Körper baldmöglichst mit der Erde in Berührung kommt. Symbolischer Ausdruck der Trauer ist das Einreißen der Kleider, die sogenannte Qria. Dieser bereits in der Bibel bezeugte Trauergestus soll den Schmerz über den Verlust eines nahen Menschen zeigen. Die Angehörigen nehmen mit zerrissenem Mantel- oder Jackenaufschlag Abschied von dem Verstorbenen.
Das zentrale Gebet bei der Bestattung ist das Qadisch. Es wird im Rahmen der Trauerfeier mehrfach, zunächst unmittelbar nach der Beisetzung, gesprochen. In seinem wesentlichen Teil lautet es in der Übersetzung:
»Erhoben und geheiligt werde Sein großer Name in der Welt, die Er nach Seinem Willen erschaffen, und Sein Reich entstehe in eurem Leben und in euren Tagen und dem Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in naher Zeit, sprechet: Amen!
Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten! Gepriesen sei und gerühmt und verherrlicht und erhoben und erhöht und gefeiert und hocherhoben und gepriesen sei der Name des Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, Verherrlichung und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde, sprechet: Amen!«
Dieses aramäische Gebet - etwa aus dem 1. Jahrhundert nach Christus - bringt die Hoffnung auf das Reich Gottes zum Ausdruck, ähnlich wie die zweite Bitte des Vaterunsers.
Wenn die Trauernden das Grab verlassen, gehen sie durch ein Spalier der Trauergemeinde, die ihnen von beiden Seiten Worte des Trostes zusagt.
Die Trauerzeit ist in verschiedene Abschnitte eingeteilt; sie beginnt mit den sieben strengen Trauertagen, in denen die Trauernden keine Arbeit verrichten und auch nicht aus der Tora lesen. Trostworte finden sie im Buch Hiob und bei Jeremia. Wie bei der Trauer um den zerstörten Tempel in Jerusalem sitzen die Trauernden während der Trauerwoche auf dem Boden oder auf Hockern. Am Sabbat verlassen sie das Haus, um den Gottesdienst zu besuchen. Nachbarn, Freunde und Verwandte kommen zu ihnen, um ihnen Trost zuzusprechen und für ihre leiblichen Bedürfnisse zu sorgen.
An die Trauerwoche schließt sich der Trauermonat an, bis zu dessen Ende die Trauerkleidung weiterhin getragen wird. Nach den 30 Tagen der Trauer wird der Riss in den Kleidern zugenäht oder ausgebessert, die Trauerkleidung abgelegt, und die Angehörigen gehen wieder ihren alltäglichen Pflichten nach. Auch in den folgenden elf Monaten betet der Sohn nach dem Tod der Eltern täglich oder zumindest im Sabbat-Gottesdienst das Qadisch und zündet das ewige Licht, auf hebräisch »Ner Tamid«, an. Der Grabstein wird üblicherweise am Jahrestag des Todes, der sogenannten »Jahreszeit«, gesetzt. Zur Jahreszeit soll auch weiterhin von Familienmitgliedern das Qadisch gebetet werden. Dies ist auch der Tag, an dem das Grab des Verstorbenen von den Angehörigen aufgesucht wird.
Was für die Schlichtheit der Bestattung gilt, gilt in gleicher Weise für die Grabpflege. In der Regel werden keine Blumen an die Gräber gebracht. Die Ehre, die man dem Verstorbenen erweist, soll sich nicht im Grabschmuck, sondern im Herzen der Angehörigen spiegeln. In dieses Bild des schlichten Totengedenkens fügt sich auch der jüdische Brauch ein, beim Besuch des Grabes ein kleines Steinchen zum Gedenken auf den Grabstein niederzulegen.