Sonntag, 6. März 1938: Am Vormittag trifft sich eine Gruppe von angeblich rund 150 bis 250 Menschen in der Wirtschaft Alberts in Eiringhausen. Geschlossen marschieren sie zur nahen evangelischen Kirche. Was wie eine harmlose Prozession anmutet, wird am Ende des Tages jedoch zu einem Eklat führen.
Es waren die Jahre des Dritten Reiches. Die faschistische NS-Ideologie hatte auch große Teile des Alltags der Bevölkerung beeinflusst. Die Religion bildete da keine Ausnahme. Während sich die Katholische Kirche zumindest bis 1933 relativ geschlossen gegen den deutschen Faschismus aussprach, begann in der Evangelischen Kirche die Herausbildung zweier gegensätzlicher Gemeinden.
Im Jahr 1937 hatte Pfarrer Theodor Priesack, 1909 in München geboren, die Leitung der evangelischen Kirchengemeinde Eiringhausen übernommen. Bereits früh musste er sich gegen die Bewegung der „Deutschen Christen“ („D.C.“) behaupten. Diese „neue“ evangelische Gemeinde glich ihre religiöse Überzeugung der NS-Ideologie an und agierte durchaus staatstreu. Den „Deutschen Christen“ gegenüber stand die „Bekennende Kirche“, 1934 von Pfarrer Martin Niemöller gegründet. Diese Gruppe grenzte sich deutlich von den „D.C.“ ab und verlangte zumindest eine strikte Trennung von Kirche und Staat.
In einem Brief vom 7. März an die Kirchenleitung in Münster beklagte sich Pfarrer Priesack über die „D.C.“ und die Vorgänge des vorigen Abends. Mehrfach habe er schon Anfragen der „Deutschen Christen“ bezüglich der Nutzung der evangelischen Kirche abgelehnt. Es sei „keine Gewähr dafür gegeben, dass die Verkündigung gemäß der Heiligen Schrift und in Übereinstimmung mit den Bekenntnissen der Reformation erfolge“, schrieb Priesack. Am Vorabend hatten sich die „Deutschen Christen“ daher den Kirchenschlüssel vom Kirchenmeister geholt und sich eigenmächtig Zugang zur Kirche verschafft.
Einige der „Deutschen Christen“ hatten sogleich die Glocken läuten lassen, woraufhin Priesack mit einigen Gemeindemitgliedern zur Kirche eilte. „[Ich] betrat den Haupteingang, wo ich auf Pfarrer N.N., Plettenberg, stieß. Ich fragte ihn, wer verantwortlich sei für diese Versammlung, worauf der entgegnete: 'Ich nicht, lassen Sie uns hier alleine!'“, schrieb Priesack nach Münster. Gewaltsam habe man ihn anschließend aus der Kirche entfernt, unter dem Johlen und Lachen der in der Kirche versammelten „Deutschen Christen“.
Diese rechtfertigten die Tat wenige Tage später, in einer Stellungnahme vom 13. März 1938: „Während man uns einerseits die Kirchensteuer abzwang, verweigerte man uns andererseits den Zutritt zur Kirche. […] Die Erregung unserer Gemeinde wurde daher immer größer und erreichte ihren Höhepunkt, als ein sogenannter Bekenntnispfarrer namens Priesack am Sonnabend und Sonntag die Totenglocke läuten ließ. […] Von der Kanzel herab verkündete er dann, dass dies alles geschehe, weil man einen Pfarrer Niemöller angeblich – man lese und staune – wegen seines Glaubens zu einer siebenmonatigen Festungshaft und zu einer Geldstrafe von 2.000 Reichsmark verurteilt habe.
“ Priesack solle gegenüber den „Deutschen Christen“ gesagt haben, er ließe jeden Tag die Totenglocke läuten, bis Niemöller, der wegen seiner Kritik am NS-Staat inhaftiert wurde, aus der Haft entlassen sei. Auch dies kommentierten die „Deutschen Christen“ in ihrer Stellungnahme: „Mit dieser offenkundig staatsfeindlichen Einstellung des Herrn Priesack ging unsere Geduld zu Ende.
“ Die „Deutschen Christen“ hielten ihren Gottesdienst am Vormittag des 6. März 1938 in der Eiringhauser Kirche ab. Währenddessen versuchte Pfarrer Priesack vergeblich eine Polizei-Dienststelle zu erreichen. Tags darauf, am 7. März 1938, stellte er Anzeige gegen die beteiligten „Deutschen Christen“ wegen Hausfriedensbruchs und Körperverletzung. Die Kirchenleitung in Münster unterstützte den Eiringhauser Pfarrer. Priesack wandte sich sogar per Brief an den Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler. Im weiteren Verlauf schalteten sich nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch die Gestapo und Vertreter der heimischen Politik ein.
Die „Deutschen Christen“ hatten noch während ihres Gottesdienstes am 6. März gegen Pfarrer Theodor Priesack gewettert. So habe ein „Kamerad N.“ eine Erklärung verlesen, in der es unter anderem hieß: „Jeder Nationalsozialist sieht in diesem Verhalten des Pfarrers Priesack eine bewusste Auflehnung gegen staatliche Urteile und damit eine Untergrabung der staatlichen Autorität.“ Doch der Eklat in Eiringhausen blieb zunächst ohne Konsequenzen. Den „Deutschen Christen“ wurden gewisse Rechte eingeräumt, auch wenn anfangs keine Gottesdienste mehr abgehalten wurden.