41) Der Herscheider

In Zeiten der völlig mobilisierten Gesellschaft fast schon undenkbar: Anfang des 20. Jahrhunderts war die Reise von Plettenberg nach Herscheid alles andere als ein „Katzensprung“. Die Fahrt in die Nachbargemeinde ist heute dank Bussen und Pkw eine Sache von Minuten. Doch vor über hundert Jahren hatte erst die Errichtung einer Bahnlinie die wirtschaftliche und räumliche Distanz zwischen der Ebbegemeinde und der Vier-Täler-Stadt drastisch verringert.

Vor allem in Herscheid hatte man sehnsüchtig auf die Errichtung einer Bahntrasse nach Plettenberg gehofft. Diese Sehnsucht hatte auch wirtschaftliche Gründe: Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war die Vier-Täler-Stadt durch die Ruhr-Sieg-Strecke an ein auch industriell wichtiges Schienennetz angebunden. Die Plettenberger Kleinbahn sorgte außerdem dafür, dass Plettenberger Industriewaren aus allen Teilen der Stadt zum Bahnhof nach Eiringhausen transportiert werden konnten.

1911 konnte mit dem Bau der Strecke zwischen Plettenberg und Herscheid begonnen werden. Insgesamt 5,8 Millionen Mark verschlang das Projekt. Auch nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden die Bauarbeiten fortgesetzt, gerieten jedoch ins Stocken. Dennoch konnte die Verbindung sogar früher als geplant abgeschlossen werden. Am 8. Juli 1915 wurde die Trasse zwischen Plettenberg und Herscheid offiziell eröffnet. Auf eine große Feier hatte man damals allerdings aufgrund des Krieges verzichtet. Eine zuvor anvisierte Weiterführung der Trasse bis nach Lüdenscheid wurde nach dem Ende des Ersten Weltkrieges jedoch vom Tisch gewischt – zu groß waren die Differenzen zwischen der Stadt Lüdenscheid und der Eisenbahnverwaltung über die künftige Linienführung.

Der Bau der Bahnstrecke war nicht nur für damalige Verhältnisse eine enorme technische Leistung. Zwar war die Strecke „nur“ 16,2 Kilometer lang, doch um die Hügel, Täler und Flüsse der heimischen Region überbrücken zu können, waren 25 Bauwerke nötig: Brücken, Viadukte und sogar ein Tunnel. Doch der Aufwand hatte sich gelohnt. Die Bevölkerung nahm die Verbindung nicht nur gut an. Die Strecke wurde schnell aufgrund ihrer landschaftlichen Schönheit auch über die Grenzen der heimischen Region hinweg gerühmt. Die Trasse begann am Eiringhauser Bahnhof und führte über den Haltepunkt am Hestenberg zum Bahnhof in Plettenberg-Oberstadt. Von hier fuhr der Herscheider weiter über Köbbinghausen nach Hüinghausen.

In den folgenden Jahrzehnten war der Herscheider eine zuverlässige Verbindung für den Personen- und den Güterverkehr zwischen Plettenberg und Herscheid. Doch die fortschreitende Motorisierung der Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gab auch dem Herscheider ein „Haltbarkeitsdatum“. Am 25. September 1965 wurde der Personenverkehr auf der Strecke endgültig eingestellt. Nur vier Jahre später folgte der Güterverkehr. Dabei hatten Planer und Erbauer der Strecke Anfang des 20. Jahrhunderts noch große Visionen: durch die Verbindung zwischen Plettenberg und Herscheid sollte die heimische Region an manch großes Zentrum angeschlossen werden. So hätte, wäre die Trasse bis nach Lüdenscheid weitergeführt worden, eine Verbindung über die Volmetalbahn bis nach Gummersbach, beziehungsweise über die Aggertalbahn bis nach Köln bestanden.

Zwei der letzten Monumente, die an den Herscheider erinnerten, wurden 2003 abgerissen. Zum einen das Viadukt in der Kersmecke, zum anderen die sogenannte „Schwarze Brücke“ in Oberstadt. Das 1912 und 1913 errichtete Bauwerk wurde Opfer seines eigenen Verfalls. Denn eine Sanierung hätte rund 300.000 Euro verschlungen. Daher entschloss sich die Stadt die „Schwarze Brücke“ 2003 abreißen zu lassen.

Dennoch sind noch nicht alle Erinnerungen an den Herscheider getilgt worden. Ein Teil der abmontierten Stahlkonstruktion der Brücke ziert heute den Kreisverkehr in Oberstadt. Darüber hinaus verkehrt noch auf dem alten Schienennetz zwischen Köbbinghauser Hammer und Hüinghausen eine Museumseisenbahn.

Bahnhof Oberstadt
Abriss Kersmeckeviadukt
Bau Bommeckebrücke
Bau Herscheider
Birkenhof
Haltepunkt Köbbinghauserhammer
Herscheider 1960
Herscheider Fischbauchbogenbrücke
Kersmecke Viadukt
Kersmeckeviadukt mit TEE
Wirbelsturm 1931 Bahnhof Oberstadt
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